Geschichte

Darmstadt – Wixhausen:
Grundzüge seiner geschichtlichen Entwicklung

Geschrieben von: Pfarrer Hans-Eberhard Ruhl

Die Gemarkung des jüngsten Darmstädter Stadtteils ist uraltes Siedlungsgebiet, davon haben wir seit 1948 Kenntnis durch die bronzezeitlichen Ausgrabungs­funde aus dem „Sandhebbel“ auf dem „Herrenacker“, der genauso wie die Wix­häuser Kirchendüne zu einer Kette von eiszeitlichen Flugsanddünen gehört, die sich vor dem Koberstädter Höhenrücken am Ostrand des an der Wende vom Tertiär zum Diluvium vor 1-2 Millionen Jahren etwa 300 m tief abgesunkenen Rheintalgrabens gebildet haben aus dem abgerutschten und zerfallenen Schotter des Höhenzuges an seiner westlichen Hangseite. Zwischen den wasserreichen Talauen siedeln in der „mittleren Hügelgräberbronzezeit“ um 1400 vor Christus Menschen, die bis aus Skandinavien und dem Mittelmeergebiet zusammenge­kommen sind und einen lebhaften Fernhandel kennen. Das belegen die reichen Beigaben aus 16 Männer-, Frauen- und Kindergräbern, die im „Sandhebbel“ freigelegt worden sind.
Die aufgefundenen Schmuckstücke, Halsketten aus Bernstein, Tuttuli, kostbar verarbeitete Radnadeln, mächtige Fußbergen mit Spiralscheiben und Armreifen sowie ein Bronzedolch und ein Absatzbeil sind so bedeutsam, dass man von ei­ner „Wixhausen-Phase“ der Bronzezeit spricht. Neben den Keramikfunden die­ser Phase sind auch aus der „Hallstattzeit“ von 750-450 vor Christus Ge­fäßscherben, ein Spinnwirtel und ein Webgewicht aufgefunden worden – in der Nähe des alten Dorfkerns. Sie verweisen auf ein Hirtenhaus als Außenposten der Erdfestung und einer Siedlung mit Friedhof ganz in der Nähe: An der „Lindenschneise“ auf dem Koberstädter Höhenrücken. Ob freilich von einer durchgehenden Besiedelung der Gemarkung seit dieser Frühzeit ausgegangen werden kann, muss offen bleiben.

Endgültig ins Licht der Geschichte tritt unser Dorf mit dem Aufbau des Fran­kenreiches. Beim Vordringen der Franken von Metz aus, moselabwärts, lahnaufwärts, durch die vom Limes umschlossene Wetterau ins vordem von Alamannen beherrschte Rhein-Main-Gebiet, das in der ersten fränkischen Siedlungsphase vormals römischen Fiskalbesitz einbezieht und umliegende Dörfer als „–heim“ -Orte staatlich erfasst und ausbaut, wird Wixhausen wie alle „–hausen“ -Orte in der zweiten fränkischen Siedlungsphase ab 750/780 dem Frankenreich eingegliedert. Am Oberlauf der wasserreichen Geraha wird es ausgebaut als Hinterdorf zum Gerauer Königshof, der auf eine in der ersten Siedlungsphase erfasste römische villa rustica nördlich des im vorigen Jahrhun­dert ausgegrabenen römischen Kastells am alten Neckarlauf zurückgeht. Diese Zuordnung innerhalb der Gerauer Mark bestimmt das Schicksal Wixhausens bis in die Reformationszeit – für mehr als 700 Jahre.

Der Ortsname, spätestens 1172 schriftlich belegt als „wikkenhusen“, kenn­zeichnet Wixhausen als Siedlung an einem „Weiher“ – der zu einer aus den äl­teren Flurnamen noch erkennbaren Seenplatte gehört, die das Dorf einmal um­geben hat. Am Rande des Rheingrabenbruchs treten zu dieser Zeit noch viele Quellbäche zutage, die erst im Laufe der Jahrhunderte reguliert und zusam­mengefasst worden sind, um nutzbringendes Ackerland und Wiesen zu gewin­nen. Die Seen sind versumpft und trockengelegt worden – selbst an den Weiher, der dem Dorf seinen Namen gegeben hat, erinnert heute nur noch die „Seegarten“-Straße. Am Weiher des Gerauer Hinterdorfs „wikkenhusen“ endet die „Römergasse“, die südlich an der späteren Kirchendüne vorbeizieht und westwärts in die „Untergasse“ und den alten „Kirchweg“ nach Gerau übergeht – hier ist die Keimzelle des fränkischen Dorfes zu suchen, das vor dem Zusam­menfluss der Bachläufe in den nördlichen und südlichen Talauen mit ihren „rohrichten Wiesen“ und Erlenbuchwäldern eine Schutzlage sucht um die Düne vor dem Dorfweiher. Die Christianisierung, die spätestens mit der fränkischen Landnahme erfolgt sein muss, bringt zwar auf der Düne einen Begräbnisplatz und eine Kapelle ins Dorf – aber die heilige Messe muss noch lange in der kö­niglichen Eigenkirche auf dem Gerauer Königshof besucht werden.

Die Gerauer Mark und mit ihr Wixhausen liegt innerhalb des Reichsbesitzes, über den allein der König verfügt. Sie gehört zum königlichen Jagdgebiet des Wildbanns Dreieich und dient in erster Linie dem höfischen Leben, wenn die Karolinger in der Zentrallandschaft des ostfränkischen Reiches in Mainz oder den Pfalzen Trebur und Frankfurt ihren Regierungsgeschäften nachgehen. Die Nutzung der Forsten durch die Dorfschaften, die zu dieser Zeit den Ackerbau noch überwiegt, ist hier nur eingeschränkt möglich – kann aber in Wixhausen ausgeglichen werden durch den Wirtschaftszweig der Pferdezucht, an den die „königlichen Weiden auf der Striet“, einem offenen Buschland südlich des Dorfes, erinnern. Im Jahre 910 überträgt König Ludwig IV. die Gerauer Mark aus Reichsbesitz an die benediktinische Reichsabtei Fulda, um dessen Position an der noch unruhigen Ostgrenze des Frankenreichs zu stärken – es ist nicht nur von „Hunnen“ bedroht, sondern vor allem vom Vordringen der noch heidni­schen Sachsen. Auch der weitere Gang der Dorfgeschichte ist vor allem von kirchlichen Entwicklungen bestimmt und geprägt.

Im Zuge der Gründung von Klerikerstiften, die mit den Landesausbau voran­treiben, durch den Mainzer Erzbischof und Erzkanzler des Reiches Williges, wird Wixhausen mit seiner Gerauer Mutterkirche dem 995 im Beisein Kaier Ottos III. geweihten Stift St. Viktor, außerhalb der Mauern von Mainz gegen­über der Mainmündung gelegen, und seinem Archidiakonatsbezirk zugewiesen. Zwar nimmt dessen erster Propst Burchard die Gerauer Mark mit nach Worms, als er im Jahre 1000 dort Bischof wird – aber zufolge kriegerischer Streitigkei­ten des Bischofs mit dem benachbarten benediktinischen Reichskloster Lorsch, entzieht ihm der Kaiser dieses Reichsgut wieder. Schon 1008 erwägt Kaiser Heinrich Il. die Mark dem von ihm gegründeten Bistum Bamberg zuzuschla­gen.

Aber erst 1013 fällt sie zusammen mit der Grafschaft Bessungen, zu der auch das Dorf Darmstadt gehört, der weltlichen Verwaltung nach an den Bischof von Würzburg als Herzog von Franken – zum Ausgleich für 3 Pfarrkirchen, die Würzburg an Bamberg abtritt. Fortan bleibt Wixhausen unter Würzburger Oberhoheit bis zum Ende des Alten Reiches 1806 und führt das Bild des Würz­burger Bischofs im Berichtssiegel. Die Vögte des Bischofs verwalten das Gebiet von Burg Dornberg neben dem Römerkastell bei Gerau aus. Unberührt davon bleibt das kaiserliche Recht am Wildbann Dreieich, dessen Verwaltung den Reichsministerialen von Hagen-Münzenberg übertragen ist, die bis in den Hochadel aufsteigen. Um 1150 wird, vielleicht schon als Nachfolger eines Holzturms, auf der Wixhäuser Düne der bis heute erhaltene romanische Turm gebaut – das älteste erhaltene Baudenkmal im Darmstädter Stadtgebiet.

Turm und Kapelle auf dem umfriedeten Wehrfriedhof verweisen auf eine frühe Tieflandburg im Dorf. Unklar bleibt, wer den Bau des romanischen Steinturms veranlasst hat – die Quellen schweigen. Er könnte auf die Mainzer Burggrafen und späteren Grafen von Wertheim oder die Vögte in Domberg zurückgehen – wahrscheinlicher ist, dass ihn die Hagen-Münzenberger als Wachturm und Wahrschau haben bauen lassen in Anlehnung an das Frankfurter Burgbann­recht, das Burgenbau erst in einer gewissen Entfernung von der Stadt erlaubt. Auch Frankfurt ist eng mit dem kaiserlichen Wildbann verflochten – und sein Salvatorstift, der spätere Kaiserdom, hat schon vor der ersten Jahrtausendwende Rechte im Dorf. Noch sind die abgestuften Rechte verschiedener Herren an demselben Siedlungsplatz kein grundlegendes Problem – das entsteht erst bei der späteren Territorialbildung, die sich zu einer je eigenen Staatlichkeit aus­formt. Dann erst müssen „fremder“ Einfluss unterbunden und sich überlagernde Rechte entflochten und abgelöst werden – was nicht ohne Spannungen und Kriegshändel abgehen wird.

Als ein Mitglied der würzburger Vogtfamilie, Dragebodo von Dornberg, in das 1136 von Zisterziensern bezogene Mainzer Eigenkloster in Eberbach im Rheingau eintritt und kurz darauf dessen Wirtschaftsverwaltung übernimmt, gründet er auf der Basis des von ihm mitgebrachten Einstandsgutes den Klo­sterhof Gehaborn, zu dem vor Wixhausen die Klosterhofmühle Sensfeld gehört. Aufgebaut von Laienbrüdern, treibt er so erfolgreich den Landesausbau voran, dass er bis in die hessische Zeit hinein zum Wirtschaftsmittelpunkt der Gerauer Mark wird. Anders als die älteren benedikinischen Reichsklöster, die bis hin zu Militärleistungen auch staatliche Aufgaben wahrnehmen, verstehen die Zister­zienser unter Askese die Selbstversorgung mit eigener Hände Arbeit. Und was da zielstrebig an neuen Techniken entwickelt wird, färbt auch in den benachbar­ten Dörfern ab und bringt sie voran.
Dem Streit des Klosterhofs mit dem Bruderkloster Bronnbach im Taubertal, das von Wertheim aus gegründet ist und Restbesitz in der Gerauer Mark einge­bracht hat, verdankt Wixhausen seine urkundliche Ersterwähnung. Bei der Beilegung des Streits spätestens 1172 ist einer der Gerichtszeugen „Berward des wikkenhusen“.

Schon er scheint, wie der 1225 mehrfach erwähnte „sifridus miles de wiches­husen“, also Ritter Siegfried von Wixhausen, ins Umfeld der Hagen-­Münzenberger Wildbannvögte zu gehörden. Wixhausen hat sich also in der Stauferzeit eindeutig zu einem Rittersitz entwickelt.
Ehe die Hagen-Münzenberger 1255 aussterben; gründen sie das Zisterzi­enserinnen-Kloster Jungfrauenkron in Patershausen das in der Folgezeit we­sentliche Zehntrechte in Wixhausen erlangt. Die Zeit ist im Umbruch. Als ein­zigem Adelsgeschlecht gelingt es jetzt den Grafen von Katzenelnbogen die durch ihre Zolleinnahmen am Rhein unermesslich reich werden, zwischen den Gebieten der rheinischen Kurfürsten einen eigenen Territorialstaat aufzubauen – unter würzburger Lehenshoheit bildet sich die Obergrafschaft Katzenelnbogen in die Wixhausen und die Gerauer Mark einbezogen werden. Darmstadt wird zur Nebenresidenz ausgebaut. Dem Aufkommen der Katzenelnbogener muss auch die Familie des Ritters Siegfried von Wixhausen weichen – sie geht in die Freie Reichsstadt Frankfurt und ist dort im Stadtadel noch lange nachweisbar. Die Ablösung ihrer alten Rechte im Dorf kommt auch der Pfarrei zugute – 1295 löst der Mainzer Erzbischof und Erzkanzler des Reiches, Gerhard II. von Epp­stein die Wixhäuser Kapelle von ihrer Gerauer Mutterkirche und erhebt sie zur selbständigen Pfarrkirche mit eigenem Pfarrer, und zwar im Frankfurter Salva­torstift , das sich jetzt nach der Reliquie eines Jüngers Jesu St. Bartholo­mäusstift nennt und das St. Bartholomäuspatrozinium mit auf die Wixhäuser Pfarrkirche überträgt.
Noch heute wird die Kirchweih am Bartholomäustag Ende August gefeiert. Von der Erstausstattung der neuen Pfarrkirche sind Reste einer kostbaren Musik­handschrift auf Pergament erhalten – ein Antiphonale. Da die Pfarrer der Gerauer Mark ein Halbstift bilden, werden sie mit besonderen Aufgaben be­traut. So klärt 1339 der Wixhäuser Pfarrer einen Konflikt um einen Katzeneln­bogener, der zu seiner Gerauer Pfarre die in Bessungen übernehmen will, zu dem die Nebenresidenz Darmstadt kirchlich noch immer gehört – und anno 1376 ist der Wixhäuser Pfarrer Gerhard gleichzeitig Burgkaplan im Darmstäd­ter Schloss und gehört zu den Testamentsvollstreckern Graf Wilhelm II.

Auf ihn geht die Erweiterung der Dorfkirche um einen gotischen Hochchor zu­rück. Die Kirche wird mit kostbaren Glasgemälden versehen 1370-1410, die in Resten erhalten sind. Ein Schultheiß ist schon 1318 belegt. Die Gerauer Mark und mit ihr Wixhausen erleben eine Blütezeit – sie erwirtschaftet so viel, dass von ihr aus die mittelrheinischen Städte bis nach Köln mitversorgt werden kön­nen. Drei Mühlen hat das Dorf aufzuweisen, deren Existenz bis ins 13. Jahr­hundert zurückzuverfolgen ist.
Riesige Schafherden werden über die Waldweide getrieben, reguliert durch das Märkergericht der Waldmarkgenossenschaft, an dem die Dorfbewohner unmit­telbar beteiligt sind und eigene Rechte gegenüber dem Landesherrn wahren können. Wixhausen ist 1427 Sitz eines Pail-Schäfers, eines konzessionierten Wagners und von Fuhrunternehmen.

Um 1400 werden die älteren Rechte Frankfurter Bürger und Dreieichenhainer Burgmannen in Wixhausen endgültig aufgelöst, letztere zugunsten Darmstädter Burglehen. Im Gerauer Halbstiftsgebiet blüht in räumlicher Nähe zur Residenz in Darmstadt eine bedeutende Wallfahrtskirche auf, der das höchste päpstliche Ablassrecht verliehen wird – die Liebfrauenkapelle zu Arheilgen „vor dem Dorffe“. An ihr versieht der Wixhäuser Pfarrer 2 Altäre – und ihr werden 1415 aus adeliger Erbleihe um des Seelenheils der Stifter willen der Wixhäuser Sat­telhof und 22 von ihm abhängige Höfe im Dorf übereignet. Die Blütezeit endet 1470 mit dem Aussterben der Katzenelnbogener – Wixhausen wird 1479 end­gültig hessisch und wird mit der Obergrafschaft fortan von Marburg aus regiert. Darmstadt verliert seine Bedeutung.

Mit dem Dorf Wixhausen wird 1510 der Darmstädter Oberamtmann Batt Hor­neck von Hornberg belehnt – verliert es aber wieder, nachdem 1518 Franz von Sickingen als Führer der Reichsritterschaft, die durch den fürstlichen Territo­rialausbau ihren Einfluss schwinden sieht, die abgelegene Oberamtsstadt Darm­stadt belagert. Aus dieser Zeit sind 2 bedeutsame Kunstwerke erhalten: die äl­teste erhaltene Kirchenglocke, St. Blasius geweiht und 1519 von dem berühm­ten Steffan von Frankfurt gegossen – und eines der frühesten Technikdenkmale der Region, das 1517 handgeschmiedete spätmittelalterliche Turmschlagwerk, das bis heute an Steingewichten läuft und seit 1565 sogar mit Doppelschlägen auf die Glocken die Stunden angibt. Der Wixhäuser Pfarrer scheint 1519 ganz bei der benachbarten Wallfahrtskirche zu wohnen, die vor dem Jahre 1541 ab­brennt und nicht wiederaufgebaut wird.
Die von Landgraf Philipp dem Großmütigen auf der Homberger Synode von 1526 in Hessen in Gang gesetzte Reformation macht sie überflüssig – ihr Be­sitzstand wird dem 1535 gegründeten Hohen Landeshospital Hofheim zugewie­sen, das vom Kloster Patershausen auch den großen Zehnten in Wixhausen er­langt. Dessen Pfarrei kann zunächst nicht mit einem evangelischen Pfarrer be­setzt werden, wie die hessische Generalsynode 1541 beklagt, da das nötige Aus­kommen fehlt. Zwar wird aus Mitteln der ehemaligen Wallfahrtskirche 1541 die Kirche renoviert, aber die wirtschaftliche Entflechtung des Gerauer Halbstifts zieht sich so lange hin, dass erst 1556 im Dorf wieder ein Pfarrer zu finden ist. Seit diesem Jahr ist, selten genug, das Pfarrarchiv nahezu komplett erhalten.

Mit der Bildung der Landgraftschaft Hessen-Darmstadt im Jahre 1567 setzt ein Wirtschaftsaufschwung ein, der erst mit dem Dreißigjährigen Krieg zum Ende kommt. Das Pfarreivermögensverzeichnis von 1584 und das Bederegister von 1594 verzeichnen im Dorf jetzt 52 grundbewirtschaftende Höfe, die saniert und erneuert werden. Die Gemarkung wird fixiert und aus der Waldmarkgenossen­schaft herausgelöst. Wieder spielt die Pferdezucht im Dorf eine wichtige Rolle. Aus den Erträgen des kleinen Zehnten für die Pfarrei kann 1609 ein neues Pfarrhaus gebaut werden – aber 1628 muss nach Missernten der Weinbau einge­stellt werden.

Schon zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges (1618-48) hat sich das kleine Hessen-Darmstadt dem Kaiser gegenüber für neutral erklärt, um bei der anste­henden Erbteilung von Hessen-Marburg gegenüber dem auf evangelischer Seite kämpfenden Hessen-Kassel nicht benachteiligt zu werden – doch das führt nur dazu, dass es schon bald von beiden gegnerischen Lagern mit Krieg überzogen wird. Auch wenn beim mansfelder Überfall von 1622 die Kirche ausgeraubt und keiner der jetzt 55 Höfe verschont wird – zwischen 1630 und 1635 stürzt das Dorf endgültig in die Katastrophe. Zu den fortwährenden Überfällen von Fran­zosen, die jetzt im Zuge europäischer Großmachtpolitik auf schwedischer Seite mitkämpfen, kommt der Ausbruch der Schwarzen Pest, die eine Unzahl von Menschen dahinrafft – darunter den Wixhäuser Pfarrer.
Danach leben nur noch „acht arme verderbte Männer“ mit ihren Restfamilien zwischen den Ruinen und den verwüsteten und von Wasser überschwemmten Feldern. Dort bezieht 1643 der kaiserliche General Galles sein Hauptquartier und fordert vom Landgrafen in der Festung Gießen die Übergabe der Festung Rüsselsheim, in der der Landgraf die wichtigsten Staatspapiere verborgen hat. Da nach dem Westfälischen Frieden 1648 in Hessen noch weitergekämpft wird, stehen die letzten Bewohner vor der Frage, ob sie ihr Dorf ganz aufgeben und auswandern sollen. Die Pfarrei ist verwaist – wie die benachbarte in Erzhausen, das fortan für 200 Jahre zu einer Wixhäuser Filialgemeinde wird. Nichts ist mehr so, wie es einmal war.
Die Wiederaufbauphase ist mühsam und zieht sich bis ins 18. Jahrhundert hin. Nachdem die älteren Kirchenbücher in diesem Krieg vernichtet worden sind, damit aus ihnen kein Kriegsschaden belegt werden kann, wird erst 1690 ein neues angelegt – das älteste, das jetzt noch erhalten ist. Die Kirche wird 1692 notdürftig repariert – 1679 erst konnte die Pfarrscheune neu errichtet werden. Die Mühlen außerhalb des Dorfes sind Brandschatzungen zum Opfer gefallen – und können ebenfalls erst 20 oder 30 Jahre nach Kriegsende wieder in Betrieb gehen. Bei einem neuerlichen französischen Überfall wird 1693 dem Lehrer das Schulhaus über dem Kopf angezündet – bis auf ein Kind kommt die Familie um und das benachbarte Hirtenhaus wird auch ein Raub der Flammen. Die inzwi­schen absolutistisch regierte Landgrafschaft insgesamt steht 1725 vor dem Staatsbankrott.

Vieles ist endgültig dem Verfall preisgegeben. Nachdem im Pfarrhaus nur noch ein Zimmer bewohnbar ist, wird durch den Hofzimmermeister Clausecker 1762 das heutige erbaut – mit Geld, das für die Reparatur der Kirche vorgesehen ist, deren Gewölbe 1772 schließlich einstürzen. Sie wird nicht wiederhergestellt, sondern 1774-1776 barock erweitert, kann aber nicht bezahlt werden. Mit dem Hostpital Hofheim, das den großen Zehnten 1535 vom Kloster Patershausen übernommen hat, wird ein Prozess geführt, der erst 1927 zu Ende geht. Von der mittelalterlichen Kirche wird, selten genug, 1773 eine Bauaufnahme angefertigt – und der Hofmaler Kastner malt in der neuen 21 Tafelbilder, von denen 14 erst 1991/2 wieder freigelegt worden sind.

Nach einem Krankenblatt in Basel gelingt 1776 dem Dichter und Arzt Jung­-Stilling eine der ersten Staroperationen am Auge – Patient ist Jude Moses Israel, der im alten Gemeindebachhaus vor der Kirche zu wohnen scheint. Der Ge­meinde gelingt es jedoch nicht, wieder ein Rathaus zu erbauen, wie es bis 1622 bestanden hat. Die Zahl der Häuser im Dorf wächst von 1773 bis 1802 von 25 auf 63.

Nach dem Ende des Alten Reiches wird die Landgrafschaft zum Großherzog­tum. Letztmals wird 1827 eine Pfarrscheune errichtet, doch 15 Jahre später sind alle Steuererträge aus Naturalabgaben in Geldleistungen umgewandelt. Im sel­ben Jahr erhält die Wixhäuser Kirche ihre erste Orgel – in Stroh verpackt wird sie auf Pferdefuhrwerken aus der Mainzer Orgelbauwerkstatt Bernhard Dreymanns geholt und nach der gefährlichen Reise über die Mainzer Schiffs­brücke und eine Mainfähre in Wixhausen jubelnd begrüßt.
Die Kuchenmühle beim Dorf wird in der Mitte des 19. Jahrhunderts neu ein­gerichtet – mit Maschinenbauteilen, die industriell gefertigt werden. Der geplan­te Bau eines Schifffahrtskanals neben dem Dorf, der Main und Neckar verbinden sollte, wird vom Bau der Main-Neckar-Eisenbahn überrundet, die eingleisig 1846 eröffnet wird. Zwar führt die Bahn im freien Feld am Dorf vorbei, das noch immer nicht über die Siedlungsfläche des Mittelalters hinausgewachsen ist – aber sie hat von Anbeginn, wenn auch erst auf halbem Weg nach Arheilgen, hier eine der wenigen Haltestellen. Und dieser Standortvorteil macht Wixhau­sen in der Folgezeit zum Eisenbahnerdorf. Einige Wixhäuser Familien nutzen sie zur Auswanderung in die Neue Welt. Neue Schulbauten werden errichtet, Industrieschule, Strickschule, Baumschule und eine Bibliothek gegründet. Die Pfarrscheune wird zur Kaserne für die Reiterei. In der Gemarkung werden die Wiesen entwässert. Ihre Flurstücke, Hofreiten und Gebäude werden 1854-59 erstmals exakt vermessen.

Mit dem Gesangverein „Liederkranz“ wird 1871 der älteste Verein des Dorfes gegründet – in dem Jahr, in dem unter Preußens Führung das Deutsche Kaiser­reich ausgerufen wird. Er prägt seitdem das Leben im Dorf mit – nicht nur bei festlichen Gottesdiensten und mit seinem legendären Waldfest an den Sänger­buchen, sondern auch 1888 bei der Einweihung des Wixhäuser Bahnhofs. Als 1882 ein kleines Mädchen hinter einem Fuhrwerk von einem Schnellzug über­fahren wird, kommt es in der Kirchengemeinde spontan zur Gründung des er­sten Kindergartens in Händen von Diakonissen aus Nonnenweier – er muss al­lerdings schon 1886 wieder aufgegeben werden, weil durch eine Gebietsreform die Zuschüsse der Langener Sparkasse entfallen.
Da die Bahnlinie Industriearbeitsplätze bis nach Frankfurt erreichbar macht, wächst das Dorf ab 1880 über seine alten Grenzen hinaus – auf dem Oberfeld bis zur Eisenbahn wächst das Oberdorf heran, das neben der Fabrikarbeit nur noch kleinbäuerlichen Nebenerwerb kennt. Daneben versammelt man sich im 1883 gegründeten Turnverein, aus dem heraus 1884 die Freiwillige Feuerwehr entsteht.

Ein 1888 gegründeter kirchlicher Wohltätigkeitsverein sucht die sozialen Span­nungen zu mildern. Arbeiterwahlvereine führen zur Gründung der SPD.
Die Gemeinde ist politisch zerrissen. Um die Jahrhundertwende erhält die Pos­tagentur Telegraphieanschluss – und nachdem ein Pfarrerssohn und ein Lehrbub, beide Gymnasiasten in Darmstadt, den ersten Fußball mit ins Dorf bringen, bricht ein ungeahntes Fußballfieber aus. Drei Fußballvereine werden gegründet – von denen die „Union“ 1920 die höchste deutsche Spielklasse erreicht. Neben dem Kirchengesangverein von 1905 entsteht 1911 die ev. Frauenhilfe, die eine Krankenpflegestation betreibt und den Kindergarten wiedererrichten will. Die Pläne scheitern durch den Ersten Weltkrieg, der vielfältig neue Not ins Dorf bringt.

In den Zwanziger Jahren verschärft sich die wirtschaftliche Lage noch. Durch einen Kriegsheimkehrer entsteht in Eigenleistung an der Frankfurter Straße das erste Haus jenseits der Bahnlinie. Wixhausen ist französisch besetzt, der Bahn­verkehr unterbrochen. KPD und Freidenker gehen nach dem Zusammenbruch der alten Ordnung gegen die Kirche vor. Nachdem Wixhausen noch 1913 an die Darmstädter Wasserversorgung angeschlossen werden konnte, zieht sich die Elektrifizierung bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg hin – nur das Pfarr­haus bleibt bis 1924 davon ausgeschlossen. Der Wixhäuser Kirchenkampf spielt sich nicht erst im Dritten Reich, sondern schon in den Zwanziger Jahren ab. Der Turnverein baut 1928 am Bahnhof eine Turnhalle – in der auch ein Kino eingerichtet wird. Um sich vor unerwünschten Entwicklungen zu schützen, er­steigert die Kirche 1927 die Nachbarhofreite im Westen des Pfarrhofs – aus Stiftungsmitteln wird in deren Scheune der Kindergarten wiedererrichtet.
Nach der Machtübernahme Hitlers übersiedelt eine jüdische Familie nach New York – obwohl sich die Lage im Dorf zunächst eher zu beruhigen scheint. Ein zureichender Überblick über die Zeit des Dritten Reiches ist nicht zu gewinnen, da viele Aufzeichnungen verschwunden sind. Bei Festumzügen reitet die SA mit – nachdem es unmittelbar nach der Wahl Hitlers zum Reichskanzler spon­tane Ansätze gegeben hat zu einer antifaschistischen Einheitsfront. Dir Kir­chengemeinde verstößt 1936 die NSDAP aus dem Kirchenvorstand – daraufhin wird 1937 der gerade erst wieder eingerichtete ev. Kindergarten von der Gestapo enteignet, weil er keine Gewähr für eine NS-Erziehung bietet. Westlich von Wixhausen wird das erste Autobahnteilstück gebaut – 1938 sind erste Sol­daten des neuen Heeres im Dorf einquartiert.
Der Weg führt in den Zweiten Weltkrieg mit seinen Opfern, zu denen Zwangs­arbeiter aus ganz Europa gehören, die auf der Knell arbeiten und in Wixhäuser Wirtshaussälen notdürftig untergebracht werden. Eine zweite jüdische Familie überlebt das Konzentrationslager und meldet sich nach dem Krieg aus den USA. Beim Einmarsch der Amerikaner fällt das Dorf unter Flakbeschuss. Es bleibt weitgehend unversehrt und nimmt deshalb viele Evakuierte aus den Städten und Heimatvertriebene auf. In der entbehrungsreichen Nachkriegszeit schließt sich ein Großteil der Vereine zur TSG zusammen – der „Liederkranz“ kann seine Eigenständigkeit wahren.

Die Bevölkerungszahl liegt 1950 bei 3322 – in 756 Wohnungen in 469 Häusern sind 1049 Haushalte untergebracht. Nach der Währungsreform bringen die Fünfziger Jahre einen Aufschwung innerhalb begrenzter Möglichkeiten.
Eine Bahnüberführung zum Ersatz der beiden Bahnübergänge mit ihren dichten Zugfolgen wird geplant, aber nicht gebaut – dafür wächst das Dorf kräftig bis zur Frankfurter Straße. Ab den Sechziger Jahren wird ein großes Neubaugebiet unmittelbar bis an die Stadtgrenze im Südosten heran vorbereitet und im Zuge autogerechter Erschließung soll das Dorf allseitig von Schnellstraßen umschlos­sen werden. Das Auto ist der Motor des Wirtschaftswunders – aber es bleibt bei den gezeichneten Plänen. Die Pfarrscheune von 1827 wird 1969 zum Gemein­dehaus und Treffpunkt ausgebaut – ein zweiter Kindergarten kommt ins Dorf.

Von erheblicher Tragweite für die weitere Entwicklung ist der Aufbau der Ge­sellschaft für Schwerionenforschung in der Leonhardstanne unmittelbar hinter der östlichen Gemarkungsgrenze. Nachdem in den uralten Jagdwäldern im Osten zunächst ein Truppenübungsplatz und ein Versuchskernreaktor der Technischen Hochschule vorgesehen war, die die prognostizierte Ansiedlung von weiteren 600 000 Menschen zwischen Frankfurt und Darmstadt eingeschränkt hätten, erhält das Land Hessen diese Großforschungseinrichtung der Bundesrepublik, die im Wixhäuser Gewerbegebiet ihren Anfang nimmt, weil die Infrastruktur schon vorhanden ist. Freilich wird Wixhausen damit zu einem Brennpunkt der Gebietsreform – die Stadt Darmstadt fordert die Eingemeindung mindestens des Wixhäuser Gewerbegebiets östlich der Frankfurter Straße aus wirtschaftlichen Gründen, während sich Wixhausen mit Erzhausen und Gräfenhausen zu einer Großgemeinde zusammenschließen möchte und bereits an einer gemeinsamen Mittelpunktschule beteiligt ist.
Nach einem Patt in der Gemeindevertretung entscheidet das Land: Wixhausen wird ab 1977 zu einem Darmstädter Stadtteil. Im Herbst 1975 werden die letz­ten beiden Großprojekte der noch selbständigen Gemeinde fertig – die Bahnun­terführung und das Bürgerhaus, das später Bürgermeister-Pohl-Haus benannt wird. Die Großforschungsanlage der GSI wird 1976 eingeweiht. Ihr 100 m lan­ger Linearbeschleuniger UNILAC kann alle chemischen Elemente im Perioden­system bis zum Uran auf 25% der Lichtgeschwindigkeit bringen und ihre Ker­ne miteinander verschmelzen. Es beginnt eine Fülle von Experimenten zur Atom-, Kern- und Festkörperphysik.
Nach der Eingemeindung wird der Kindergarten auf dem Westteil des Pfarrho­fes neu gebaut. Für die junge kath. Gemeinde, die in der Nachkriegszeit ent­standen ist, wird ein eigenes Gemeindezentrum fertig. Die ev. Kirchengemeinde richtet nach dem Verlust der Selbständigkeit des Dorfes ein eigenes Heimatmu­seum ein – das 1980 eröffnete Wixhäuser Dorfmuseum auf dem Pfarrhof ist un­tergebracht in einem sanierten Fachwerkbauernhaus fränkischer Prägung, das 1662 wiederaufgebaut worden ist und auf den Sattelhof des Mittelalters zurück­geht.

Zwei der drei Mühlen, die sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen lassen, wer­den abgerissen: 1978 die Kuchenmühle (Gärtnersmühle), 1980 die Aumühle, in der seit der Jahrhundertwende ein Heim für schwererziehbare Jugendliche un­tergebracht ist. Sie wird zu einer großen Behinderteneinrichtung umgebaut mit Werkstätten, einer Gärtnerei und Wohnheimen. Bei der GSI gelingen weltweit einmalige Entdeckungen, die sie zu einem Spitzeninstitut machen: Die experi­mentelle Erzeugung der neuen Elemente 107 / Nielsbohrium, 108 / Hassium 109 / Meitnerium.
Auf dem Friedhof entsteht der Neubau einer Trauerhalle, ausgestattet mit Bild­werken des Darmstädter Bildhauers Thomas Duttenhoefer – und mit ihm reali­siert die ev. Kirchengemeinde gleichzeitig ein eigenes, zeitgenössisches Kunstprojekt für den historischen Pfarrhof: Die Dorfstele. In der ev. Kirchen­gemeinde bildet sich ein Theaterkreis. Bis zum Jahre 1990 wird die zweite Aus­baustufe der GSI fertig gestellt – an den Linearbeschleuniger werden 2 Kreisbe­schleuniger angehängt, die den Ionenstrahl der Elemente jetzt bis auf 95% der Lichtgeschwindigkeit beschleunigen.

Auf Vereinsebene werden in der Aumühle Wixhäuser Kulturtage ins Leben ge­rufen. Die Kirchenrenovierung von 1991/2 bringt die historische Substanz des alten Bauwerks zur Geltung – in Vorbereitung auf die Siebenhundertjahrfeier der Pfarrei anno 1995. Ein dritter, städtischer Kindergarten wird gebaut – mit Mütterschule. Die zweigleisige Bahnstrecke wird um ein drittes Gleis erweitert, das ab 1997 dem S-Bahnverkehr zwischen Frankfurt und Darmstadt dient. Die GSI kann ihre Erfolgsserie fortsetzen mit der Entdeckung der noch namenlosen neuen Elemente 110, 111 und 112 – während frühere Experimentiereinrichtun­gen von ihr bereits im Deutschen Museum in Bonn ausgestellt werden. In die klinische Erprobungsphase geht jetzt eine neu entwickelte Tumorbestrahlung mit exakt ausgesteuerten Kohlenstoffonenstrahlen.

Wixhausen, jetzt Darmstadt-Wixhausen, verändert sich. Es wird sich weiter verändern im Ballungsraum des Rhein-Main-Gebietes, einem Millionendorf – und bleibt sich doch auch gleich – in einem hoffentlich auch später noch unver­wechselbaren Gepräge aus historisch Gewachsenem und lebendiger Anteilnah­me an den Fragen der Zeit.